Mittwoch, 9. November 2016

So weit die Trumpete tönt

Jetzt ist es also passiert. Das deklarierte Böse in der Gestalt von Donald John Trump wird das mächtigste Amt der Welt übernehmen. Ein Mann, der im Wahlkampf vor nichts zurückgeschreckt ist, ein Mann der reihenweise Bevölkerungsgruppen diskriminiert hat und vor allem ein Mann, an den eigentlich niemand so richtig geglaubt hat.

Und genau deswegen passt er so gut in die Zeit. Die Situation ist die gleiche wie am 24. Juni, dem Tag nach dem Brexit-Votum. In den Tagen vorher waren sich die Bürger so sicher, dass die offensichtliche Vernunft über den Populismus siegen wird, sodass sie gar nicht wählen gingen. Großbritannien schien ja eh schon sicher in Händen der EU. Das hätte man auch von Hillary Clinton denken können: Eine unglaublich unbeliebte Politikerin, die zwar nur für einen winzigen Bruchteil der Amerikaner eine gute Präsidentin hätte sein können, aber für viele doch als das kleinere Übel galt. Und genau deshalb schienen sich die Meinungsforscher aus aller Welt zwei Wochen vor der Wahl so sicher, dass eigentlich nur Clinton ins Weiße Haus einziehen könnte. So lange, bis FBI-Chef James Comey in der Woche vor dem 9. November wieder mit der E-Mail-Affäre ankam. Das war der endgültige Sargnagel für die Kandidatin des Establishments, die Wähler die sich von Clinton zwar nicht vertreten, von Trump aber abgestoßen fühlten, wandten sich nach diesem letzten Streitpunkt endgültig von der Kandidatin ab. Ob diese Wähler zu Trump abgewandert sind, oder einfach daheim geblieben sind, bleibt offen.

Aber die Meinungsforscher lagen wie so oft bei Wahlen falsch. Das zeigt vor allem der große Vorsprung, mit dem Trump das Rennen für sich entschieden hat. Es ist zu erwarten, dass sich in den nächsten Tagen eine Reue einstellt, die schon aus den Post-Brexit-Tagen im Juni bekannt ist. Natürlich wird diese Menge klein sein. Trump hat immerhin demokratisch einwandfrei die Wahl gewonnen, was in seinen Augen nur einwandfrei lief, weil er am Ende als Sieger aus der Wahl hervorging. Aber ein großer Teil der Amerikaner will den Umbruch, auch wenn niemand wirklich weiß, wie der unter Trump zu realisieren sein wird. Ein Umbruch, der Mauern an den mexikanischen Grenzen erlaubt und Waterboarding an Journalisten gutheißt. In seiner Siegesrede gab Trump sich bewusst versöhnlich, ob das so bleiben wird, muss sich zeigen.


Immerhin: Donald Trump stellt nicht für jeden Bürger gleich Unheil dar, wie das in den Medien manchmal suggeriert wird. Ein Politclown wie Trump braucht sicher eine deutlich längere Eingewöhnungszeit als ein etablierter Politiker, genau deswegen muss Trumps Umfeld dafür sorgen, dass er keine voreiligen Entscheidungen trifft. Vielleicht ist zu erwarten, dass er einige Streitigkeiten zwischen den USA und Russland mit seinem Bruder im Geiste Wladimir Putin beseitigen kann.  Ob das sinnvoll ist, ob zwei machthungrige Staatsführer zusammenarbeiten können, ist fragwürdig. Gleichzeitig hat er aber auch angekündigt, alle Errungenschaften der Kabinette Obama rückgängig zu machen.

Einen großen Verlierer gibt es auf jeden Fall: die EU. Trump, der reihenweise europäische Partner beleidigt, Deutschland als eine „Zweigstelle des Islamischen Staats“ beschreibt, mit dem kann man nicht so schnell auf einen grünen Zweig kommen. Wenigstens zeigt sich Angela Merkel kämpferisch. Sollte die Zusammenarbeit auf westlichen Werten beruhen, ließ die Kanzlerin verlauten, könne man sich eine Partnerschaft vorstellen. Welche Werte das in Anbetracht von Trumps Isolationismus und Fremdenhass sein sollen, darauf ging die Kanzlerin nicht ein.

Montag, 1. Februar 2016

Anarchie für Dekandente?

Es scheint, als würde man der NPD den Rang ablaufen wollen. Die Alternative für Deutschland hat das am Wochenende wieder ganz besonders gezeigt. Wo die rechtsextremen noch mittels peinlicher Videos aus Trier auf sich Aufmerksam machen, möchte die Parteisprecherin der AfD gleich zum Schießbefehl gegen Flüchtlinge an den Grenzen greifen. Und auch hier gilt: Im Gegensatz zu der rot-weißen Kleinstpartei sitzt sie sogar schon im Landtag der Landes Sachsen. Klar, wo auch sonst? Seit mehreren Jahren, spätestens seit der Etablierung von Pegida liegt das Gewaltpotenzial gegen Migranten und Flüchtlinge im Osten der Bundesrepublik mit Abstand am höchsten. Obwohl in Dresden und Erfurt so gut wie gar nicht von einer Flut von Andersstämmigen die Rede sein kann, haben sich doch sowohl ehemalige Gastarbeiter wie auch nun die Flüchtlinge in den neuen Bundesländern angesiedelt. Aber das stört niemanden, Platz zum Pöbeln ist bei Pegida und AfD immer da. 

Wenn auch einige der Parteikollegen noch etwas Vernunft zeigen und sich von Petrys Aussagen distanzieren, hat sie doch viele Unterstützer in den eigenen Reihen. Die stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch verschärft die Situation sogar noch, indem man ja die Waffengewalt gegen Kinder aussetzen könne, Frauen jedoch die volle Kraft des AfD-Wahnsinns zu spüren bekommen sollen. Wer solche Ansichten vertritt, hat nicht nur Potenzial zu verfassungsfeindlichen Handlungen, der sollte auch schnellstmöglich aus dem Politikapparat aussortiert werden.  

Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich die AfDler die DDR zurückwünschen, der Eiserene Vorhang ist aber vor mehr als 25 Jahren gefallen und die Methoden sollten dies auch für immer sein. Da können sie sich auch mit Seehofer zusammentun und "Rückführungszentren mit Todesstreifen" bauen. Da sollte ein freiheitlich-demokratischer Staat, mit dessen Federn sich Deutschland sich doch gerne schmückt, längst drüber hinweg sein. 

Nun, die AfD erntet den Spott den sie längst verdient hat, will sich das aber natürlich nicht eingestehen. Stattdessen sprechen Höcke, Petry und von Storch weiter vor Massen wie Pegida feiern, die ihnen vorgaukeln, sie würden tatsächlich eine Alternative für die deutsche Politik darstellen. Stattdessen nähern sie sich immer weiter einer Partei an, bei der von "rechtspopulistisch" keine Rede mehr sein kann.

Freitag, 29. Januar 2016

Dieses Video ist nicht verfügbar - Wie lange denn noch?

In den USA ist alles so einfach. Man hört Musik im Radio und kann auf YouTube gleich nachschauen, welcher Interpret das jeweilige Stück verfasst hat. Vorausgesetzt, es handelt sich um ein vom Künstler lizensiertes Video. Dieser Künstler stellt mit dem Hochladen eine enorme Verbreitung der Musik sicher, geht aber gleichzeitig das Risiko ein, dass Raubkopien des Songs entstehen. Um dem Vorzubeugen hat es sich eine Organisation mit dem markantem Namen Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, kurz GEMA, zu Aufgabe gemacht, auf YouTube für Recht und Ordnung zu sorgen, indem sie der amerikanischen Entertainmentplattform einen Rechtsstreit auf den Hals bindet. Dieser Streit ist fast so alt wie YouTube selbst und wird mindestens einmal pro Jahr durch eine neue Streitigkeit angefacht. Nun hat das Oberlandesgericht München entschieden, dass der Schadensersatzforderung von 1,6 Millionen Euro vorerst nicht nachgekommen wird. Die Summe soll dadurch entstehen, dass die GEMA ein Recht auf eine Provision von 0,375 Cent für jeden Klick auf ein Video bekommt, bei dem ein bei der Gesellschaft unter Vertrag stehender Künstler auftritt.  Über die Summe lässt sich streiten, die stört weder YouTube noch die GEMA wirklich. Im Prozess geht es vielmehr um die Grundsatzfrage, inwieweit die GEMA Videos zensieren darf. Denn das stört nicht nur YouTube, sondern auch den großen Teil der deutschen Nutzer, die nicht auf die Videos zugreifen können. 

Die GEMA hat die Aufgabe vor Urheberrechtsverletzungen zu schützen, was auf völlig legitim ist, denn jeder Künstler muss für seine Arbeit entlohnt werden. Gegen die Zensierung von vermeintlich raubkopierten Musikstücken spricht deshalb auch nichts. Für die Einhaltung der deutschen Urheberrechtsgesetze muss auch die GEMA sorgen, daran ist nicht zu rütteln.

Bei Musikvideos, die im 21. Jahrhundert beinahe zu 100% über Videoplattformen publiziert werden, sieht die Sache jedoch anders aus. Wenn ein Musiker oder eine Plattenfirma von sich aus entscheidet, das Risiko einzugehen und die entsprechende Musik auf YouTube zu stellen, dann ist sie auch primär dafür verantwortlich. Viele außerdeutsche Labels nutzen YouTube schließlich als Hauptwerbemedium, oft wird sogar schon auf andere Portale, wie etwa  Vevo oder MyVideo ausgewichen, um die Gesamtzahl der möglichen Kunden zu erreichen. Da kann man nicht mehr argumentieren, dass es nicht im Sinne des Künstlers wäre, wenn dieser es nicht auf YouTube veröffentlichen könnte.

Die Einschränkung ist also die einzige Lösung, um beide Parteien zufrieden zu stellen. Zensur der raubkopierten Musik und gleichzeitig das Ermöglichen von Werbung auf YouTube. Dass auch YouTube den Gesetzen entgegenkommen muss, ist unabdingbar, denn die haben in den 11 Jahren seit Erscheinung einiges versäumt. In wie weit diese Annäherung geschehen muss, ist noch offen, die GEMA hat bereits angekündigt, auf nächster Instanz zu klagen, dann vermutlich beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. 

Mittwoch, 27. Januar 2016

Polens Medienkindergarten

Im Oktober  2015 ist in Polen das passiert, was in ganz Europa seit einigen Jahren Einzug hält. Die Radikalisierung der Regierung. Angefangen mit der linkskonservativen Regierung unter Alexis Tsipras in Griechenland, die den Euro in den Abgrund fährt und ihm auch nicht mehr wieder herausrücken will. Dann folgt das Erstarken des rechtsextremen Front National, der im Dezember bei den Regionalwahlen in Frankreich im Dezember seinen Höhepunkt fand. Auch wenn es hier noch glimpflich ausgegangen ist. Eine letzte Radikalisierung ist der Zulauf zu noch kleinen, teils krude Weltbilder vertretende, Organisationen in Deutschland.

Jetzt hat es also Polen erwischt. Und kaum im Amt, macht die neue Regierung gleich von sich Reden, in dem sie ein äußerst umstrittenes Mediengesetz verabschieden möchte. Darin heißt es, die Regierung unter PiS-Chefin Beata Szydło dürfe Personalentscheidungen bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mitbestimmen und diese auch kontrollieren. Auch sollen die Sender ungeachtet möglicher Verluste arbeiten, vielmehr verlangt Warschau die Konzentration auf den nationalen Auftrag. Wo der allerdings erfüllt sein soll, wo tausende Menschen auf die Straße gehen, das weiß nur die Partei für Recht und Gerechtigkeit. Dass genau diese zwei Schlüsselelemente damit abhanden gekommen sind, das stört allerdings niemanden im Staatsapparat.

Da passt auch der Nationalismus ins Bild. Wo die Gerechtigkeit fehlt, wächst die Intoleranz und die kritische Meinung verschwindet. Aber ist es in der heutigen Zeit wirklich nötig, dass ein Land wie Polen noch immer die Prinzipien aus Zeiten des Eiserenen Vorhangs verfolgt? Die europäischen Grundwerte, die sich das Land über die letzten 25 Jahre erarbeitet hat, werden damit eingeschränkt.
Die EU und Deutschland haben das Problem erkannt und werfen der Regierung undurchsichtige Machenschaften vor. Die Polen dagegen fühlen sich gleich auf die Füße getreten. Da wird gleich in kämpferischer Manier gedroht, dass Polen keine Flüchtlinge mehr aufnehmen würde, bis sich ein verantwortlicher Deutscher bei ihnen entschuldigt. Sei es drum, Polen hätte eh nur 7000 bei einer Einigung aufgenommen, da ist es doch sehr viel interessanter, wenn die Regierung auf der gesamten Welt vorgeführt wird.


Einige Verbündete dürfte Polen dann doch haben, Putin freut sich direkt über die Ankündigung. Klar, auch bei ihm werden kritische Journalisten gnadenlos aussortiert. Von der Türkei ganz zu schweigen. Da kommt sogar der Staatspräsident persönlich auf die Idee, Journalisten anzuzeigen und mit lebenslanger Haft zu drohen, nur weil sie über die Wahrheit berichten. Lügenpresse lässt grüßen.

Sonntag, 22. November 2015

(K)ein Buch der Offenbarung


Der Durchschnittsdeutsche verbringt im Monat 15,5 Stunden bei Facebook. Dazu kommen die knapp 100 Stunden, die am Smartphone verbracht werden und damit bei Twitter, Instagram und Co. Soziale Netzwerke bestimmen immer mehr das alltägliche Leben, was an sich nicht gleich etwas Verwerfliches darstellt. Facebook rühmt sich beispielsweise neuerdings mit 1,5 Milliarden Nutzern bis September 2015. Ende 2012 hatte es die Milliardenmarke überschritten, 2 Milliarden Benutzer sind nicht mehr weit entfernt. Diese Zahlen erscheinen schon hoch, stellt es aber doch noch eine relativ große Hürde dar, sich bei Facebook einzurichten, von den Massen an WhatsApp-Nutzern kann hier gar keine Rede sein.

Während die Anzahl der Menschen, die sich täglich in den sozialen Netzwerken aufhalten, zunimmt, nimmt auch die Anzahl an Menschen zu, die vermeintlich etwas zu sagen haben. Angefangen als Anlaufstelle für neurotische Selbstdarsteller, hat es sich doch so weit entwickelt, dass jeder Mensch das Mitteilungsbedürfnis in sich entdeckt.

Auch hier lässt sich sagen: Schön und gut, wenn die Nutzer harmlose Katzenvideos oder lustige Fotos posten, aber seit Anfang 2015 ist Facebook eines mehr als je zuvor geworden: Es ist politisch.

Es herrscht Anonymität, und genau hier liegt der Sprengstoff. Jeder teilt seine Meinung aus, wie es ihm gerade passt und das ist auch völlig legitim. Aber diese Meinung wird bei 99% aller Äußerungen völlig verquer wiedergegeben. Da werden Posts in den Kommentaren zerrissen, auf die übelste Art und Weise. Aber dafür ist Facebook nicht geschaffen. Eine politische Diskussion kann nicht mit wüsten Beleidigungen, sondern nur durch Seriosität vorangetrieben werden. Hat man bei einer Zusammenkunft, sei es in der Dorfkneipe oder im Bundestag, noch seinen Gegenspieler vor sich, ist die Hemmschwelle um ein Vielfaches größer, ihm die Meinung beleidigend ins Gesicht zu sagen. Die Ausmaße sind nicht mehr tolerierbar, da kämpfen Fronten oftmals erbittert gegeneinander. Seien es harmlose Kriege zwischen einer Fangruppe, die ihre Lieblings-Boyband verteidigt und denen, die die Musik schlecht finden oder auch Auseinandersetzungen zwischen Pegida-Mitläufern und ihren selbsternannten Gutmenschen. Allgemein lässt sich sehen, dass seit der Flüchtlingskrise dieser Abwärtstrend von Facebook immer stärker zu spüren ist. Wer sich zu sehr von seinen Gefühlen leiten lässt, und das gilt immer für beide Seiten, kann keine sachliche, thematisch wertvolle Diskussion führen. Aber die gibt es bei Facebook eh schon seit Jahren nicht mehr. Und sollte mal etwas wirklich grenzwertiges gesagt werden: Was kümmert es Facebook? Die sind doch noch mit dem Löschen von Nacktbildern beschäftigt.

Ein weiteres Thema ist der Umgang auf Facebook mit sensiblen Themen. Die Terroranschläge von Paris haben die Bevölkerung im größten Ausmaß erschüttert. Völlig logisch, dass jeder seine Solidarität zeigen möchte. Praktisch auch, dass Facebook kaum fünf Stunden nach dem Erfassen aller Anschläge gleich ein Tool zur Verfügung stellt, mit dem man sein Profilbild schön in die Farben der Trikolore tauchen kann. Soweit auch nichts neues, gab es doch schon unzählige solcher Bildverschönerungen. Man bedenke den Regenbogen für die Gleichstellung der homosexuellen Paare in den Vereinigten Staaten, den Anschlag auf Charlie Hebdo oder die anti-israelitischen Bildchen, bei denen konsequent dargestellt wird, wie Palästina unterdrückt wird. Alles Solidaritätsbekundungen, die schnell wieder vergingen. Nur letzteres ist bei bestimmten Gruppen noch zu sehen. Aber genau so ist es auch den Frankreich-Flaggen ergangen. Jeder hat wie wild auf das Tool eingedroschen, jeder musste unbedingt seine Anteilnahme ausdrücken, jeder hat es auf eine temporäre Dauer von zwei Tagen eingestellt. Danach war es vorbei mit der Solidarität, von da an ging es weiter mit den üblichen Diskussionen um die Schuldigen und das Risiko von Terrorismus in Europa. Solidarität kann und soll gezeigt werden, aber wie Facebook damit umgeht ist mehr als fragwürdig, wo doch die Einfärbung von allein wieder rückgängig gemacht wurde.

Am Ende bleibt nur die Vergänglichkeit eines Posts, der entweder nur zu Streitereien in den Kommentaren führt, oder für den man sich am Ende selbst schämt.
Da zählt der Wille sich niemals in heikle, von Emotionen unterwanderten, Diskussionen einzumischen und zu versuchen, sich nicht krankhaft selbstdarstellen zu wollen. Denn dafür gibt es ja noch Instagram.


Ja, und falls der Social-Media-Overkill Überhand nimmt, bleibt immer noch der Ausweg, einfach mal ein paar Stunden abzuschalten und echten, zwischenmenschlichen Konversationen beizuwohnen. 

Freitag, 4. September 2015

Flucht ins Lächerliche

Die EU wird von Politclowns unterwandert und niemand merkt es. Diese Diagnose mag übertrieben klingen, aber es ist genau das, was die europäische Politik gerade zerreißt.

In einer Zeit, in der nichts wichtiger als ein gemeinsamer Konsens wäre.
In einer Zeit, in der täglich Tausende Flüchtlinge vor den Toren Europas stehen und auf Hilfe hoffen.
In einer Zeit, in der jeder Laie seine Meinung im Netz abgeben kann und die Politik damit gleichzeitig vor die größten inner- und außenpolitische Probleme der letzten Jahre stellt.

Und das betrifft nicht nur Deutschland, die Politik und die Medien, das betrifft jedes EU-Land, wie man an den unqualifizierten Aussagen eines ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán festmachen kann. Der erlaubt sich die Dreistigkeit, im EU-Parlament tatsächlich die alleinige Schuld am Flüchtlingsstrom Deutschland zuzuschieben. Dabei ist er nichts weiter als ein Staatsführer, der mit allen Mitteln der Vernunft gescheitert ist und stattdessen Militär und Gewalt im Kauf nimmt, um seine eigene Stellung zu festigen.

Da kommen Flüchtlinge in Budapest an und steigen am Hauptbahnhof in einen Zug, der sie, wie sie glauben, an die österreichische Grenze bringt. Stattdessen landen die Notleidenden aus dem Nahen Osten vor den Toren der Stadt in unmenschlichen Flüchtlingslagern. Damit werden sie genau zu dem, vor dem sie geflohen sind: zu Gefangenen.

Das hält Orbán natürlich für richtig, er ist ja auch der Meinung, weil so viele Menschen nach Deutschland wollen, sei allein Deutschland daran Schuld, dass in den Menschen der Drang geweckt wird, nach Europa zu fliehen.

Fakt ist, dass in Ungarn die meisten Flüchtlinge ankommen, versorgt werden sie dort aber nicht. Stattdessen werden sie genau in das Land geschickt, das ja der mutmaßliche Übeltäter ist: nach Deutschland.
Wohin auch sonst? Ist  Deutschland doch mitunter eines der äußerst wenigen Länder, die sich überhaupt um Flüchtlinge sorgen, und das, obwohl Deutschland selbst von blindem, unbegründeten Hass zerrissen wird.

Solange sich Länder weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, oder deren Anzahl auf einige Hundert beschränken, wie es etwa in Polen gehandhabt wird, kann man keine Lösung finden.
Dabei liegt die Lösung klar auf der Hand: Eine durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gebundene Anzahl an aufzunehmenden Flüchtlingen. Das ist leider unmöglich, weil das Parlament wie so oft mit sich selbst zu kämpfen hat. Das Problem sind ja nicht nur die uneinsichtigen Politiker, die sich gegenseitig die Schuld zuschieben, nein, es hat nicht einmal jemand im Sinn, das Problem zu lösen. In Deutschland werden Abschiebungslager errichtet, die EU-Grenzländer bauen Stacheldrahtzäune, die mit dem Militär bewacht werden. Jedes Land kocht sein eigenes Süppchen, ungeachtet dessen, dass die EU als Institution darunter zusammenbricht.

Das Problem ist nicht zu lösen, solange jedes Land eigensinnig denkt. Und es ist vor allem nicht mit Leuten wie Viktor Orbán zu lösen, Politikern, die jedes Problem nur von sich wegschieben. Aber das ist das Problem der EU. Es prallen zu viele Ansichten aus Ländern aufeinander, die mit einer offenen Grundeinstellung manchmal nichts mehr zu tun haben. So braucht sich allerdings auch niemand wundern, wenn irgendwann gar nichts mehr läuft.

Montag, 27. Juli 2015

Das Unwort der Jugend

„Der Discopumper oxidiert nur rum, weil er Augentinnitus hat.“ Etwas verstanden? Kein Wunder wenn nicht, besteht der Satz doch aus Anwärtern zum Jugendwort des Jahres 2015. Übersetzt: Der muskulöse Discobesucher sitzt nur herum, weil er von Langweilern umgeben ist.
Auch heuer kennt das Fremdschämen zur Wahl keine Grenzen, der Langenscheidt-Verlag veranstaltet  nun schon zum achten Mal sein Laienschauspiel.

Da steht nur wieder die Eine Frage im Raum: Wozu das Ganze? Sicherlich nicht, um die Sprachkultur der deutschen Jugendlichen zu verherrlichen, als vielmehr ein unscheinbares Langenscheidt-Produkt zu vermarkten. Und das funktioniert.

Der Aufbau der Wahl ist durchaus leicht zu verstehen: Der Verlag legt eine Liste mit etwaigen Jugendwörtern zur Online-Abstimmung bereit, bei der dann jeder abstimmen kann. Ist die Vorauswahl abgeschlossen, fällt eine Jury die endgültige Entscheidung über das Gewinnerwort. Eine Jury, die von sich aus behauptet, nah an der jugendlichen Community dran zu sein. Das sind sie natürlich nicht.

Man muss zugeben, die Gewinner der letzten Jahre hat man durchaus gekannt, sie wurden auch so im Sprachraum genutzt. Man denke dabei an YOLO im Jahr 2012, das vor allem in den Sozialen Medien totgetrampelt wurde.  Auch „Babo“, das Jugendwort im Jahr 2013 hatte durch den Rapper Haftbefehl  seine Blütezeit von vier Wochen. Danach war es so gut wie verschwunden, sollte es heute jemand benutzen, dann nur mit einem ironischen Unterton. Daran erkannt man schon den Fehler im System einer solchen Wahl, die sich selbst zu Ziel setzt, die Entwicklung der Sprache zu dokumentieren.  Die Entwicklung läuft der Wahl davon, ist doch jedes Wort, das doch angeblich von jedem Jugendlichen benutzt wird, schon längst wieder in der Versenkung verschwunden.

Auffallend ist auch, dass sich einstige Jugendwörter schon selbst neu erfinden. Das Selfie hat sich gerade im gesamtdeutschen Raum, auch bei der älteren Generation, etabliert, da kommt ein gelber Verlag daher und bezeichnet das Selfie als „Egoshoot“, weil das ja angeblich die neue Version ist. Blöd nur, dass davon noch nie jemand Gebrauch gemacht hat. Da liegt die Vermutung nahe, der Langenscheidt-Verlag suche verzweifelt nach extravaganten Wörtern in den Tiefen des Internets. Solange, bis ein User endlich mal ein Wort erfindet, das man schön für eine solche Wahl verwenden kann. Wie sollte man sonst auf ein Wort wie „INOKLA“ für „inoffizieller Klassensprecher“ kommen?

Umso schöner ist es zu hören, dass heuer der erste Skandal auftrat: Man musste „Alpha-Kevin“ aus dem Repertoire nehmen, da es zu diskriminierend ist. Und das, obwohl es mit Abstand das beliebteste der Wörter war. Natürlich ist die Entscheidung nachvollziehbar, es darf niemand diskriminiert werden. Trotzdem muss man sagen, dass es eines der wenigen Wörter war, die überhaupt jemals verwendet wurden, wenn auch nur auf Facebook. Bleibt nur noch „merkeln“  als Spitzenreiter übrig, ein Wort, das jemanden als faul und nichtsnutzig bezeichnet. Das ist natürlich dann nicht diskriminierend, geht es doch nur um die Bundeskanzlerin.

Der Langenscheidt-Verlag ist trotzdem glücklich, man bekommt genügend Aufmerksamkeit für Werbezwecke. Dem allgemeinen deutschen jugendlichen Sprecher bleibt nichts anderes übrig, als die Wahl zu ignorieren und den wirklichen Sprachgebrauch auszuleben, der mit den Jugendwörtern der letzten vier Jahre auskommen muss. Diese dürften wohl das Maximum der Extravaganz aus der deutschen Jugendsprache rausgeholt haben.


Man kann nur darauf hoffen, dass die Wahl irgendwann wirklich Wörter aus dem Sprachraum aufnimmt, ansonsten macht der Langenscheidt-Verlag nichts anderes, als vor sich hin zu „kompostieren“.